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06.05
16

FM Einheit & Andreas Ammer

Konzert

Deutsche Krieger

"Der Kampf geht weiter." - Fast zwei Jahre haben Andreas Ammer und FM Einheit an ihrem neuesten Opus, der Trilogie "Deutsche Krieger", gearbeitet. Jetzt liefern sie damit den Soundtrack für ein ganzes Jahrhundert. Mit im Studio: die bekanntesten und berüchtigsten deutschen Vokalartisten des Jahrhunderts: Kaiser Wilhelm II., Adolf Hitler, Ulrike Meinhof. Und mit ihnen im Chor: das gesamte deutsche Volk in all seiner blinden Wut. Das Ergebnis: Zwölf Songs mit den schlimmsten Phantasien, die Deutschland zu bieten hat, unterteilt in drei zusammengehörige Stücke:

"Kaiser Wilhelm Overdrive","Adolf Hitler Enterprise" und "Ulrike Meinhof Paradise" sind als Ganzes eine Art dokumentarische Oper mit den Mitteln der Pop-Musik (eine "Tonträgeroper", wie Ammer und Einheit ihr Werk untertiteln). Ein musikalisches Gebilde, das seinesgleichen erst gar nicht erst sucht, weil es - von Anspruch und Gestaltung her - einzigartig ist. 100 Jahre deutscher Wahnsinn in 66 prallvollen Minuten. 66 Minuten undurchdringliche Beats und wüste Klangcollagen: "That`s Entertainment!" - und eine Herausforderung für Ohr und Hirn.

Die Worte, die in den "Deutschen Kriegern" fallen, sind allesamt wirklich gefallen (auch wenn es sich unglaublich anhört). So wie Andreas Ammer und FM Einheit den letzten Kaiser, den großen Führer und die attraktive Terroristin als Sänger eingesetzt haben, dürfen diese drei deutschen Krieger heute als Pop-Stars mit eigener Stimme noch einmal verkünden, was niemand mehr hören will:"Deutschland sei krank". Die Musik ist in ihren Bestandteilen (vom Rauschen der frühen Phonographen im ersten Weltkrieg bis zum Blubbern der analogen Synthesizer in den siebziger Jahren) ebenfalls den vergangenen Epochen abgelauscht, in ihrer Wirkung doch eher unserer Zeit voraus. Denn was Andreas Ammer und FM Einheit in ihrer sehr persönlichen Sicht auf Deutschland an Ton-Dokumenten versammelt haben, wurde verpackt in treibende Musik, große Klanglandschaften oder komplexe Geräuschmontagen. Das Resultat ist ein Konzentrat der deutschen Geschichte, zugleich ein Musikstück über die Medien, die bis heute Krieg und Unterhaltung gleichermaßen übertragen. Folgerichtig ist Ammer/Einheits neues Werk Krieg und Unterhaltung in einem.

Wie es sich aber für eine "Oper" gehört, folgt hier die Zusammenfassung der komplexen Handlung. Was bisher geschah:



I.

KAISER WILHELM OVERDRIVE

Mit dem Phonographen im Tornister: Einstmals begann die deutsche Geschichte im ersten Weltkrieg mit dem Rauschen der Grammophone und expressionistischem Rausch auf den Schlachtfeldern. Der Phonograph singt dazu. Im digitalen Remix rauscht noch einmal die grammophonische Mobilmachung Kaiser Wilhelms vorbei: "Es muß denn das Schwert nun entscheiden!" Wie eine Fußballübertragung moderiert in Ammer/Einheits Montage der expressionistische Sprechkünstler Moissi die epochemachenden Sätze von 1914. Die Knackser auf den Phonographenplatten geben den Beat vor. Auf dem Schlachtfeld ("Der Feind will uns den Weg nach Frankreich nicht freimachen") geht mit deutschem Bombast die Fahne hoch. Fazit: "Jeder Schuß ein Ruß." Das Tonstudio wird schließlich zur Fälscherwerkstatt, die dem delirierenden deutschen Kaiser Sätze wie „Es muß denn das Roß nun entscheiden“ in den Mund legt. Am Ende reitet der Kaiser in ein akustisches Nirvana. Jemand ruft die Republik aus ("Seid einig, treu und pflichtbewußt"). Das Volk fleht um Gnade.



II.

ADOLF HITLER ENTERPRISE



Über den Volksempfänger, der bekanntermaßen nur ein Abfallprodukt der Heerestechnologie war, wird auf die ganze Welt zurückgeschossen. Der Äther wird Aufmarschplatz. ("Deutsche Hörer!") So wie das Unsterblichkeit verheißende Medium der Grammophonplatte den ersten Weltkrieg als unbewußte Technologie begleitete, prägt die Allmachtsphantasie der Radiowellen, die überall und jederzeit „An alle!“ ausgestrahlt werden, den zweiten. Im Radio ist überall Front. Nachdem der Führer gesprochen hat ("Ist das nun ein Streich-, Blas- oder Schlagintrument", fragen Ammer/Einheit dazwischen), geht es mit dem Radio live von der Ostfront in die afrikanische Wüste, alliierte Störsender strahlen rätselhafte Nachrichten aus, ganz Europa grölt simultan in einer faschistischen Ringschaltung "Stille Nacht", und aus dem U-Boot wird live zurückgeschaltet in den Führerbunker, wo Hitler einfach nicht totzukriegen ist. Akustisch stellen Ammer und Einheit das nie stattgefundene Begräbnis des Führers nach, bevor dieser sich noch einmal im Grabe umdreht. Nachher soll niemand sagen mehr können, man hätte den Mann ernst nehmen müssen.



III.

ULRIKE MEINHOF PARADISE


Mit dem Fernseher wird der (vorerst) letzte deutsche Krieg vor den Augen und Ohren der Nation ausgetragen. Bevor Ulrike Meinhof die Nation terrorisiert, ist sie dort ein gern gesehener Talkshowgast ("Ihre Autorität beruht auf dem Argument.") - Zu Disco-verträglichen Rhythmen singt sie vom bevorstehenden Kampf auf deutschen Straßen ("Stadtguerilla!"). Wenn ihr später über die Medien der Krieg erklärt wird ("6 gegen 6 Millionen!") und die moralische Aufrüstung vor den heimischen Sofas stattfindet, muß auch die RAF erst nach der Bombe und dann zum Videorecorder greifen. Schließlich wird dafür von deutschen Politikern die Todesstrafe gefordert. Vorher aber übertragen Ammer/Einheit aus der Stockholmer Botschaft, die gleich in die Luft fliegt, und aus dem Hochsicherheitstrakt in Stammheim ("Das Gefühl, das Hirn schrumple einem zusammen wie Backobst"). Nachdem alle tot sind, lautet das Resümee: "Die Arbeit ist erledigt." Nur wollte das nachher wieder keiner gehört haben. Mit dem lakonischen Satz "Bürger wollten, daß die Leichen auf die städtische Müllkippe geworfen werden", endet in einem Requiem der Par-force-Ritt von Andreas Ammer und FM Einheit durch ein Jahrhundert deutscher Horrorphantasien - die allesamt wahr wurden.

*

In jahrelanger Recherchearbeit haben Andreas Ammer und FM Einheit gesammelt, was von Deutschland und seinen Kriegen auf Tonträgern gespeichert wurde: Dokumentarisches und Skurriles wie die Mobilmachung Kaiser Wilhelms zum 1. Weltkrieg oder das erste jemals aufgezeichnete Geräusch von Thomas Alva Edison, Lenin-Reden und Kriegsberichte von 1916 fanden sich auf Schellack-Platten. Bekanntes Material wie die erste und letzte Hitler-Rede wurden verwendet, ebenso seltene Dokumente wie Nazi-Live-Reportagen aus deutschen U-Booten und Mitschnitte alliierter Störsender oder eine Ringschaltung zu allen Fronten des Großdeutschen Reiches. Schließlich die heute totgeschwiegenen Fernsehauftritte von Ulrike Meinhof, Interviews mit Terroristen wie Baader, Ensslin, Mahler, die Hetze der Medien im deutschen Herbst, Mitschnitte vom Kugelhagel bei den Verhaftungen, die Entrüstung der Politiker, Telefongespräche mit Terroristen, die gerade Botschaftsangehörige erschießen oder die letzten Worte der Meinhof aus der Zelle, die Videobänder des entführten Schleyer, der Sturm von Mogadishu und so weiter und so weiter.

Aus diesen Materialien haben Ammer/ Einheit schließlich einzelne "Songs" und ein akustisches "Libretto" verfertigt, das dann - wie einstmals große Opern - mit den Klängen der jeweiligen Zeit vertont wurde. Nur der Rhythmus und die Form ist immer schon von heute. So wird Deutschland noch einmal aus seinen Ruinen zusammengesetzt. Es ist ein grausiges Land, das Ammer/Einheit da zusammenkomponiert haben. Dokumentation, Collage, aber auch eigene Geschichtsfälschungen haben sie betrieben - Knacksen, Rauschen und bretternde Beats transportieren das Ganze. - Die Tonträgeroper "Deutsche Krieger" wäre in ihren einzelnen Teilen wie Popsongs zu hören , wäre da nicht der grausige Inhalt.







"Deutsche Krieger" ist nach den mehrfach preisgekrönten Stücken "Radio Inferno" (Morishige Award, Japan; Gold Medal for Radio Drama, New York; Prix Futura, Berlin) und "Apocalypse Live" (gemeinsam mit Ulrike Haage; Hörspielpreis der Kriegsblinden, Bonn; Prix Italia) die dritte Zusammenarbeit von FM Einheit und Andreas Ammer. Während die früheren Stücke (erschienen in der Reihe EGO / RoughTrade) - ebenso wie die ersten beiden Teile der "Deutschen Krieger" - noch von deutschen Rundfunkanstalten (BR) mitproduziert wurden - konnte für "Ulrike Meinhof Paradise" aus naheliegenden Gründen kein solcher Produzent gefunden werden.



Text, Konzept, Musik & Realisation:

Andreas Ammer / FM Einheit

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